Hürden auf dem Weg zu einem Präsidialsystem: Erdoğans Strategie

Recep_Tayyip_Erdogan

Bild: By Gobierno de Chile, CC BY 3.0 cl

 

Eine trianguläre Allianz, bestehend aus der AKP, der MHP und dem türkischen Militär, soll Premierminister Erdoğan die Transformation des türkisch-parlamentarischen Systems in ein präsidiales ermöglichen. Verliererin wäre die kurdische HDP, die dann vom parlamentarischen Entscheidungsprozess ausgeschlossen wäre. Das ambitionierte politische Projekt des türkischen Premiers gefährdet den Frieden in Anatolien und belastet die türkisch-US-amerikanischen Beziehungen.

Unabhängig davon, welche politischen Beziehungen die HDP zur PKK unterhält, Erdoğans massives Vorgehen gegen sie und die Terrororganisation sollten aus einem anderen Blickfeld bewertet werden, als der Sicherheitspolitik. Auf dem Spiel steht nichts weniger als das Ende seiner politischen Karriere und dies, obwohl die AKP geschlossen hinter ihm steht und seine Macht tagtäglich zunimmt. Kurz gesagt: Erdoğan ist auf dem Höhepunkt seiner Macht! Viele Türkeiexperten übersehen zwei wichtige Punkte, weshalb der türkische Präsident eine rigide und undemokratische Politik bemüht: Erstens, die Türkei ist immer noch ein parlamentarisches System und Erdoğan hat auf rechtlichem Wege keine Möglichkeit, das Amt des Premierministers wieder zu besetzten. Zweitens, gegenwärtig fordert das Präsidentenamt vom designierten Kandidaten/ von der Kandidatin, dass er/sie überparteilich das Amt ausübt. Erdoğan müsste die Führung der AKP abgeben und unparteiisch regieren. Mit hoher Wahrscheinlichkeit möchte er das Schicksal von Turğut Özal und Süleyman Demirel vermeiden – beide gehören zu den charismatischen Führern der islamischen Parteien in der Türkei und konnten, wie Erdoğan, viele Jahre uneingeschränkt das Land regieren – zumal sie in Folge ihrer Präsidentschaft die Parteiführung abgeben mussten und keine Mittel zur Verfügung hatten, um den Niedergang ihrer Parteien aufzuhalten. Die Transformation in ein Präsidialsystem würde Erdoğan erlauben, die Führung über die AKP weiterhin auszuüben und vor allem hätte er die Möglichkeit, legal parteiisch zu agieren.

Eine Verfassungsänderung kann u. a. auf zwei Wegen in der Türkei erreicht werden: Erstens, durch eine Zwei-Drittel-Mehrheit; das heißt, von 550 Ministern müssten 367 für eine Änderung stimmen. Zweitens, durch eine Drei-Fünftel-Mehrheit sowie einem Referendum. Beide Optionen hätte Erdoğan nützen können. Die notwendige Änderung der Verfassung hätte Erdoğan somit mit der Unterstützung aller im Parlament vertretenen Minister und Ministerinnen erreichen können. Weshalb also hat die AKP ein existenzielles Interesse an der Ausgrenzung der HDP? Erdoğan bzw. die AKP sind auf dem Höhepunkt ihrer Macht und Umfragen in der Türkei belegen, dass die Partei und ihr charismatischer Führer seit mehreren Jahren die Maximalzahl an Wählerstimmen bereits für sich gewinnen konnte. Damit bleibt nur noch ein Weg offen, um die eigene politische Macht zu stärken und ein Präsidialsystem einzuführen, der Ausschluss von Oppositionsministern im Parlament.

Die strafrechtliche Verfolgung der kurdischen Parlamentarier am 20. Mai dieses Jahres sorgt dafür, dass Erdoğan die Unterstützung der ultranationalistischen MHP, mit 40 Sitzen im Parlament vertreten, sicher ist. Ihr Führer Devlet Bahceli steht länger unter parteiinternem Druck und sucht nach Möglichkeiten, seine Position wieder zu stärken. Ebenso fördert die Politik der AKP gegenüber der HDP und der PKK eine Annäherung zwischen ihr und dem türkischen Militär. Die trianguläre Politikstrategie der AKP scheint aufzugehen, die ultranationalistische MHP und auch das Militär signalisieren Kooperationsbereitschaft und unterstützen den gegenwärtigen Kurs.

Mit Sorge und Unbehagen beobachtet Washington die Entwicklungen in der Türkei und deren Auswirkungen auf die türkische Außenpolitik. Erdoğan konnte nur durch hartes militärisches Vorgehen gegen die PKK im Südosten der Türkei und Luftangriffe gegen die PKK sowie PYD auf syrischem Territorium die Sympathien und Subvention der ultrarechten und der Offiziere gewinnen. Für Washington sind die militärischen Erfolge der PYD gegen den IS von Vorrang, während für Ankara die kurdischen Gruppen bestehend aus PKK/PYD die größte Herausforderung darstellen. Gleichzeitig wäre jedes weitere politische Auseinanderdriften zwischen den USA und der Türkei für letztere möglicherweise von katastrophaler Folge. Vor allem mit Blick auf Russland. Russische Truppen stehen im Norden (Krim), im Süden (Syrien) und in Osten (Armenien); der Abschuss des russischen Kampfjets durch die Türkei hat zu einer deutlichen Verschlechterung der Beziehungen geführt.

Es ist höchst unwahrscheinlich, dass Erdoğan seinen politischen Kurs ändern wird, solange er die notwendige Verfassungsänderung nicht durchgesetzt hat. Möglicherweise werden dann auch wieder Friedensgespräche mit der PKK aufgenommen. Die gegenwärtige Politik der AKP stellt den inneren Frieden in der Türkei aufs Spiel und stößt wichtige außenpolitische Verbündete vor den Kopf.